Kokosnuss zum Frühstück

Die Regenzeit ist gerade vorbei und die fast waagerecht über uns stehende Sonne heizt Indien ordentlich ein. Es ist kurz nach zwei am Mittag und im Schatten um die 35 Grad heiß. Mein Kopf ist rot und meine Hände sind kreidebleich. Ich komme gerade müde und hungrig von einem anstrengenden Schultag nach Hause. Den größten Teil des relativ kurzen Rückweges von der Schule gehe ich mit einer Lehrerkollegin zusammen. Wir unterhalten uns auf Englisch und sie lacht, als ich mich in Oriya versuche. Manchmal stehen wir noch länger an der Ecke vor ihrem Haus und reden ein bisschen länger im kühlen Schatten der Bäume. Doch meistens signalisiert mir mein Magen, dass ich schnellstmöglich den Weg zum Gästehaus, meinen Zuhause, einschlagen soll.

Das Gästehaus kann man in dem folgenden Foto sehen und hier habe ich ein kleines Zimmer mit einem eigenen Badezimmer bezogen. Neben mir sind die einzigen langfristigen Bewohner im Gästehaus nur die Mäuse, Insekten und Eidechsen, von denen sich einige auch mit mir ein Zimmer teilen. Ab und zu kommen aber auch Ärzte zu Fortbildungen und Seminaren in dieses Gästehaus, das wie die Schule zum hiesigen Krankenhaus gehört.

 

 
Unter der Woche stehe ich um 6:40Uhr auf, dusche kalt, esse eine Kleinigkeit und binde dann der Kleiderordnung in der Schule entsprechend meinen einzigen Schlips und mache mich auf den Weg zur Schule. An der nächsten Ecke wartet dann schon meine Kollegin auf mich und wenn nicht, dann warte ich kurz auf sie und beobachte das geschäftliche Treiben zur frühen Morgenstunde vor dem Krankenhaus. Wenn wir dann immer erstaunlich pünktlich die Schule erreichen, werden wir von den ersten Schülern schon mit „Good Morning, Sir“ und „Good Morning, teacher“ begrüßt und wir grüßen freundlich zurück.

Um Punkt 7:30Uhr beginnt dann das Morgengebet für die Lehrer im Lehrerzimmer, das gleichzeitig auch der Klassenraum für die siebte Klasse ist. Ich muss immer grinsen, wenn mein bester Freund und Lehrerkollege gewohnt verspätet durch die immer offene Tür schleicht und sich Versuch möglichst leise auf einen der Plastikstühle zu setzen, während die meisten mit geschlossenen Augen beten. Und er muss selber grinsen, wenn er mich sieht. Anschließend stellen sich alle Schüler in Uniform und nach Größe und Alter sortiert auf dem Schulhof auf und müssen das „Vater Unser“ beten und mit ausgestreckten rechten Arm den indischen Treueid sprechen. Außerdem dürfen sie sich in der Rede von ständig wechselnden Lehrern Zitate wie „Bildung ist bitter, aber die Frucht ist süß anhören“. Zuletzt wir die Nationalhymne nach Vorgabe mit festen und geraden Blick in genau 52 Sekunden gesungen.

Um 8:00Uhr ertönt die Glocke, die aufgrund des häufigen morgendlichen Stromausfalls oft mit der Hand geschlagen wird und alle Schüler schwärmen in ihre Klassenräume.

Es gibt acht Jahrgänge und in jedem Jahrgang nur eine Klasse. Und da die Stundenpläne der Lehrer von denen der Schüler abweichen, wird viel improvisiert. Und auch ich mache mich zu meinen Klassen auf. Der Unterricht macht meistens Spaß, kann aber auch mal nervenaufreibend und anstrengend werden. Zum Teil bin ich nach einem Schultag so erschöpft, dass ich mich nach meinem Mittagessen zu einem kurzen Nickerchen in mein Bett fallen lasse. Häufig bin ich schon eingeschlafen, bevor mein Körper die dünne Matratze überhaupt berührt.

Doch mein Schlaf hält nicht lange. Schon bald klingelt mein Handy. Oder Leute wollen mich kennenlernen und fragen mich, ob ich verwand bin mit anderen Deutschen, die schon früher hier waren. Aber nein, auch wenn es in ländlichen Gegenden in Deutschland Dörfer mit nur einer Oma gibt, sind nicht alle Deutschen verwand. Oder Schüler klopfen an meiner Tür und wollen mit mir spielen. Und wer könnte zu dem Mädchen auf dem folgenden Foto „Nein“ sagen, wenn sie und ihre Freunde mit dir nur ein bisschen Ball spielen wollen?

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Abends gehe ich dann häufig mit meinen Freunden noch einmal in die Stadt, um etwas zu kaufen oder um uns einfach nur in den lebendigen Straßen Nabarangpurs treiben zu lassen. Während sich im kalten Deutschland die meisten Menschen in ihren Häusern verstecken, spielt sich in Indien, das Leben auf der Straße ab und alles ist voller Menschen und natürlich auch voller Kühe. Und irgendwo hört man immer typisch indische Musik aus Lautsprechern schallen. 

Abends lese ich dann häufig noch eines der Bücher, die ich hier gekauft habe und die von Indern geschrieben wurden. Mein Lieblingsautor, Chetan Bhagat, hat mich schon häufig erst spät in den Schlaf entlassen. Aber ich muss ja jeden Morgen immer wieder früh aufstehen, Samstags haben wir in der Schule zwar nur fünf statt sieben Stunden, dafür beginnt der Unterricht aber auch schon um sieben. Entsprechend früh klingelt dann auch mein Wecker. Nicht immer ist das Frühstück schon zur so frühen Stunde fertig, sodass ich letzten Samstag vor einer verschlossenen Küche stand und nichts zu Essen hatte. Zum Glück lag in meinem Zimmer noch eine Kokosnuss herum, die ich kurzerhand geknackt habe. Und so gab es halt Kokosnuss zum Frühstück. Und es hat super geschmeckt.

Kategorien: Allgemein | 5 Kommentare

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5 Gedanken zu „Kokosnuss zum Frühstück

  1. bnh

    This post made an interesting read!
    Not much has changed since I last attended school – especially the saturdays 🙂
    Have you read all of Chetan Bhagat’s books?

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    • I bought all of his books, but so far I just have read three of them. Now I am reading the „Five Point Someone“ and I like it as much as all the three books before…
      But how did it come that you have been to TPS. Have you been a volunteer, too?

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      • bnh

        No, I haven’t been there.
        What I meant to say was that, as an Indian who studied in a school in another state from the south, the school system has remained the same, including the timings on Saturdays! 🙂

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      • Wow! Interesting… And how did it come that you found my blog and even understood German?

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  2. bnh

    I lived in Germany for a short while and learnt German until B1 level, so that is how I understand German 🙂

    I came back home a few months ago; I was looking for Indo-German based blogs to read on google and found yours 🙂

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